Monthly Archives: Juli 2025

Interfaces, Click-Work und KI

Auch zwei Monate nach unserem AG-Workshop wirken die Gespräche und Diskussionen nach. Um euch weiter teilhaben zu lassen, möchten wir hier einige Schlaglichter aus dem Workshop aufgreifen und vertiefen.


Den Anfang macht das Thema des Click-Workings. Im Workshop haben wir gemeinsam zwei eindrückliche Ausschnitte aus Videoarbeiten angesehen und diskutiert Die Links zu den entsprechenden Arbeiten sowie damit verbundenen Internetauftritten und Organisationen findet ihr am Ende dieses Beitrags. Dazu findet ihr unten auch einen Link, unter dem ihr den Text von Jan Distelmeyer zu diesem Thema abrufen könnt. Einen zu unseren Diskussionen und den Arbeiten passenden Ausschnitt dürfen wir aber auch hier schon teilen.

Auszug aus: „Mit KI zu tun bekommen. Daten, Arbeit und Interfaces“, in: CARGO Film/Medien/Kultur, Nr. 65, 2025, S. 52-61

Menschliche Arbeitsleistungen für KI sind öffentlich weit weniger präsent als die (künftigen) Leistungen von KI. Diese Datenarbeit findet zumeist dezentral und unter prekären Bedingungen auf Plattformen für Firmen statt, die für namhafte Player wie OpenAI, Microsoft oder Tesla die menschliche Kraft hinter der Technologie organisieren. Die vielleicht berühmteste Plattform solcher Organisation plattformisierter Arbeit ist Amazon Mechanical Turk (MTurk).

Zur Unsichtbarmachung solcher „data work“ – auch „gig work“ oder „click work“ genannt und im Ausdruck „ghost work“ nochmal unfreiwillig geghostet – tragen auf ihre Weise auch Verschwiegenheitsauflagen bei, die Beschäftigte unterzeichnen müssen. What happens here, stays here. Sie verhindern, dass die mannigfachen Probleme und Zumutungen dieser Arbeit öffentlich(er) werden.

In den letzten Jahren nehmen jedoch Informationen und Initiativen zu, die anschaulich zeigen, wie dringend die Bedingungen von Datenarbeiter*innen publik gemacht und verändert werden müssen. Zu wichtigen Organisationen gehören hier das Berliner „Superrr Lab“, das u.a. am „Content Moderators Manifesto“ von 2023 und an der transnationalen Initiative „Data Workers Demand Safe And Fair Conditions“ Anfang 2025 wesentlich beteiligt gewesen ist, und das „Distributed AI Research Institute“ (DAIR), das u.a. das Projekt der „Data Workers’ Inquiry“ betreibt, in dem 2024 die Berichte von 15 Datenarbeiter*innen in Venezuela, Kenia, Syrien und Deutschland veröffentlicht worden sind. So werden mehr und mehr Stimmen vernehmbar, die Auskunft darüber geben, was zur Genese von Auskünften durch z.B. ChatGPT gehört.

Beispielhaft berichtet Mophat Okinyi, der Gründer der Techworker Community Africa, gegenüber James (Mojez) Oyange und „Superrr Lab“ von seiner Arbeit für ChatGPT im Auftrag der Firma Sama. Bei seiner Leistung, mehr als 700 Texte und Textabschnitte pro Tag zu klassifizieren, bestand eine besondere Belastung darin, dass er dabei verstörenden und gewalttätigen Inhalten ausgesetzt war: „The idea was that ChatGPT would not generate sexual content when you write something sexual; the tool would self-regulate. But before reaching this point, it has to be trained by human beings. That is what I was doing.“

Was Mophat Okinyi beschreibt und kontextualisiert, war erstmals Anfang 2023 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht worden. Damals hatte Time unter dem Titel „OpenAI Used Kenyan Workers on Less Than $2 Per Hour to Make ChatGPT Less Toxic“ über die Traumatisierungen von Beschäftigten bei Sama berichtet.

Für Roukaya Al Hammada, der auf der Grundlage persönlicher Erfahrungen der Datenannotation berichtet, sind „data workers“ so etwas wie „the ’hidden soldiers‘ of the Artificial Intelligence revolution“. Sein „Data Workers’ Inquiry“-Beitrag „How Syrian Refugees in Lebanon Train AI” bestätigt die besondere Rolle von Geflüchteten bei dieser Form plattformisierter Arbeit, die überall ausführbar wird, wo Geräte online sind und über dafür entwickelte Interfaces Eingaben erlauben.

Zugleich führt er damit vor Augen, dass Datenarbeit Interface-Arbeit ist: „Data annotators may work with images, text, audio, or video, drawing bounding boxes around objects in images, transcribing speech, or tagging entities in text.“ Sie klicken, markieren, benutzen Buttons, wählen aus Menüs und tragen Texte in Felder ein. Was ein Text ist, was ein Bild sagt, wie ein Auto aussieht, wie eine Zeichenfolge einzuschätzen ist – diese Erkennungs- und Erkenntnisleistungen müssen Menschen in die Maschinen bringen.

Solche Datenarbeit, die mit und dank Interfaces durchgeführt wird, ist darum auch noch etwas anderes: Kulturarbeit. Und entsprechend sollte sie verhandelt und bezahlt werden. Auch dieses mehr als berechtigte Anliegen, „the recognition of data work as a legitimate occupation“, gehört zu den Kenianisch-Deutschen Forderungen von „Safe And Fair Conditions“.

Wie dabei das Outsourcing-Prinzip potentiell alle Aspekte der Tätigkeit betrifft, betont Oskarina Veronica Fuentes Anaya, die in Lateinamerika seit über 10 Jahren freiberufliche KI-Datenarbeit leistet: „Ich mache diese Arbeit von meinem Computer aus, den ich mit meinem eigenen Geld gekauft habe, so wie ich für meine Internetverbindung und mein Telefon bezahle, die ich auch als Arbeitswerkzeuge benutze. Ich mache alles von meinem Zimmer aus. Alle Kosten gehen auf mich.“

Genau hier sieht Milagros Miceli, die am Berliner Weizenbaum-Institut und als Teil von DAIR seit Jahren die Arbeitsbedingungen der „data work“ erforscht und kritisiert, einen zentralen Grund für die Missstände. „Das Hauptproblem“, so Miceli, „liegt in der Auslagerung selbst“ – was sich ebenso an der mangelnden Vermeidung von und Hilfe bei Problemen zeigt („niemand fühlt sich verantwortlich“) wie auch an der Bezahlung pro Aufgabe, was den „den Raum für Preisdiskriminierung“ öffnet.

Nach Schätzungen der Weltbank zu „The Promise and Peril of Online Gig Work“ von 2023 arbeiten weltweit zwischen 150 und 430 Millionen Menschen in diesem Feld. Schwer zu schätzen ist diese Zahl gerade wegen des Outsourcing-Prinzips, das auch und gerade Flüchtlingscamps zu attraktiven Rekrutierungsorten werden lässt, wie Forschungen von Ariana Dongus zeigen.

Das macht „data work“ zu einem millionenfachen Musterbeispiel des Plattformkapitalismus, bei dem das Problem zugleich Teil der Lösung ist. Denn zur Wahrheit dieser Plattformisierung von Arbeit gehört auch, dass sich diese vereinzelt Beschäftigten über Plattformen (von WhatsApp-Gruppen bis zur Interventions-Initiative „Turkopticon“) über ihre Lage austauschen und organisieren.

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Weiterführende Links:

https://data-workers.org/

https://www.weizenbaum-institut.de/news/detail/datenarbeiterinnen-die-arbeitsbedingungen-und-bedeutung-der-menschen-hinter-ki/

https://superrr.net/en/blog/social-media-content-moderators-in-germany-our-manifesto

https://superrr.net/de/blog/data-workers-demand-safe-and-fair-conditions

Hier findet ihr den vollständigen Text: Mit KI zu tun bekommen