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Plattform-Politiken 2025 – Zwischen Ästhetik, Ethik und Ökonomie digitaler Interfaces

Am 22. und 23. Mai 2025 fand an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe der Workshop der AG Interfaces statt. Mitglieder der AG sowie an den Themen interessierte Forschende trafen sich dieses Jahr unter dem Oberthema „Plattform-Politiken: Vermittlungen (un)sichtbarer Bildpraktiken und Interface-Operationen“. In vier thematisch strukturierten Panels boten die Teilnehmenden Einblicke in ihre Forschungen entlang der Schnittstellen zwischen Plattformen, digitalen Bildern, Wissenspraktiken und politischen wie ökonomischen Dynamiken. Ein besonderer Fokus lag neben den Vorträgen insbesondere auf dem gemeinsamen Austausch und inhaltlichen Diskussionen, die nicht nur bewusst in den Programmplan eingebaut, sondern auch durch die angenehme Atmosphäre und die Begeisterung aller Beteiligten für die Themen gefördert wurden. Abgerundet wurde der erste Workshoptag durch die Präsentation und Diskussion von Videos zu Data Work. Das Interesse der Teilnehmer:innen am Thema, die intensiven und anregenden Diskussionen und der spürbare Enthusiasmus sorgten zu guter Letzt auch dafür, dass der reservierte Restauranttisch doch noch etwas auf die Teilnehmenden warten musste.

Panel 1 „Ästhetische Politiken“

Lisa Rein eröffnete den Workshop mit ihrem Vortrag „Schöne neue Welt: Zur Beurteilung von Ästhetik durch Datenbanken algorithmischer Bildklassifizierung“, der sich den algorithmischen Bewertung von Bildern auf Plattformen wie Instagram widmete. Anhand von Datenbanken wie AVA oder LAION zeigte der Vortrag, inwieweit ästhetische Werte anhand numerischer Klassifizierungen und konkreter Deutungshoheiten entwickelt werden.  So basieren “Ästhetik-Algorithmen” teils auf spezifischen historischen, technologischen und sozialen Biases, beispielsweise auf Bildern aus den 2000er Jahren, die mit digitalen Spiegelreflexkameras aufgenommen und von weißen männlichen Hobbyfotografen bewertet wurden. Wenn daraus nun Ästhetik-Entscheidungen für gegenwärtige soziale Medien gezogen werden, scheint es nicht überraschend, dass auch postkoloniale Perspektiven und Fragen der Repräsentativität kritisch diskutiert werden. Anhand des mitgebrachten Bildmaterials ließ sich sehr schnell erkennen, dass konkrete Bildtypen – etwa spiegelnde Landschaften mit hohem Blauanteil – bevorzugt besser bewertet wurden. 

In dem zweiten Vortrag des Panels „Simulative Reinigung. ‘Clean-Up Games’, Interface-Effekte und Plattform-Politiken“ ging Katharina Weinstock der Frage nach, auf welche Weise Clean-Up Games, ASMR-Videos und Instagram-Feeds Gewohnheiten formen (können). Basierend auf einem auto-ethnografischen Ansatz zeigte sie, dass affektive Zustände wie Prokrastination oder Überforderung durch visuelle Interfaces in ritualisierte Interface-Handlungen – vom virtuellen Hochdruckreinigen bis hin zu digitalem Aufräumen – überführt werden können. Ihre Beobachtungen verweisen auf ein Plattformdesign, das zwischen Irritation und Kontrolle oszilliert und sich in ganz spezifischen audiovisuell geprägten Game-Praktiken kondensiert, die eine breite Menge an teils mundänen, teils irritierenden Handlungen unter dem Begriff der ASMR Games zusammenführen.

Nachdem zwei sehr konkrete ästhetische Dimension von Interfacepraktiken und -plattformen adressiert wurden, widmete sich das nachfolgende Panel “Politiken des Wissens” zwei weiteren Anwendungspraktiken desselben Diskursfeldes, fokussierte nun allerdings das jeweils in den Systemen implementierte und angewandte ‘Wissen’. 

Panel 2 „Politiken des Wissens“

Kim Albrecht zeigte in seinem Vortrag „Artificial Worldviews“, wie Visualisierungen als kritische Werkzeuge zur Analyse generativer KI genutzt werden können. Durch wiederholtes Prompting, welches schließlich in ca. 1800 API-Anfragen an ChatGPT mündete, generierte Kim etwa  700 Kategorien die sich alle unter den Begriff des Wissens subsumieren lassen. Diese Kategorien überführte er anschließend in ein räumliches Mapping von Verwandtschaftsverhältnissen und Assoziationen, welches sich – ebenso wie das Mapping zum Thema Power, das er auf dieselbe Weise erschuf –  auf seiner Webseite “Artificial Worldviews” anschauen und erkunden lässt. Ein entscheidendes Argument seines Vortrages war, dass solch ein Vorgehen nicht nur potentiell neues Wissen schaffen kann oder entsprechende Visualisierung andere Lesbarkeiten ermöglichen, sondern insbesondere, dass auf diese Weise auch die an sich oft als Black Boxes benannten maschinellen Systeme zugreifbar gemacht werden können. 

Der Vortrag „„Wissen destillieren“. Zu den Plattform-Politiken von Application Programming Interfaces und den Grenzen konzeptuellen Zugriffs auf Künstliche Intelligenz“ von Yannick Nepomuk Fritz knüpfte ebenfalls an die Frage nach Formen der Wissensproduktion an. In seinen Ausführungen beschrieb Yannick KI als ein Medium welches Wissen komprimiert und Outputs dabei zunehmend in neue Inputs überführt. Yannik arbeitete sich in seinem Vortrag an der These ab, dass die epistemische Klarheit verschwimmt und KI so, Ted Chiang folgend,  zum „blurry JPEG of the Web“ würde. Diese Überlegungen exemplifizierte er am  Beispiel der ‚konnektionistischen‘ Funktionsweise von Deep Seek.

Den Abschluss des ersten Tages bildete Panel 3, bestehend aus einem Vortrag von Konstantin Haensch sowie der Diskussion zweier Filmausschnitte über das Leben von Data Workers, mitgebracht und vorgestellt von Jan Distelmeyer.

Panel 3 „Politik und Ökonomie“

Konstantin Haensch analysierte in seinem Vortrag „From Surface to Strategy: The ‘Brand Interface’ and Its Political Economy in Platform Cultures“ das Interface als politischen und ökonomischen Akteur, dessen Oberflächenästhetik mit Markenlogiken verschränkt ist (Trump-Tesla-Musk). Die Marke lässt sich  – so seine These – nicht nur als Logo, sondern als Interface selbst lesen. Sie ist daher ein Ort von Zuschreibung, Kontrolle und Affordanz. Konstantins Vortrag schlug vor, Marken und Interfaces miteinander verschränkt zu diskutieren und dadurch die Kategorien des einen Diskurses auch auf den anderen anwendbar zu machen.

Jan Distelmeyer präsentierte zum Abschluss des Tages zwei Videos zu Data Work aus Perspektive der Arbeiter:innen sowie eines Verbundes an Aktivist:innen des Diskurses. Die Diskussionen entlang der Videobeiträge fokussierten daher nicht allein die Unsichtbarkeit der Arbeit sogenannter Click-Worker,. sondern insbesondere deren konkreten Arbeitswirklichkeiten – von der Arbeit-auf-Zuruf, über die erschwerten Home-Office Bedingungen bis hin zu der Freude und Leidenschaft, die manche Arbeiter:innen an dem Beruf und dessen Tätigkeiten haben.

In einem fließenden Übergang wurden die Diskussionen schließlich von der Hochschule für Gestaltung in ein fußläufig gelegenes Restaurant überführt, in dem der Tag in Ruhe und geselliger Atmosphäre ausklingen konnte.  

Der zweite Tag begann mit einem Rückblick auf die bis dato geführten intensiven und engagierten Diskussionen mit ersten schlaglichtartigen Kommentaren zu bisher offensichtlich gewordenen übergreifenden Interessen, Fragestellungen und Forschungsbereichen.Anschließend führten uns Tatjana Seitz und Pierre Depaz in dem vierten und letzten Panel in konkrete Ebenen der API-Politiken ein.

Panel 4 „API-Politiken“

In beiden Vorträgen standen technische Schnittstellen im Fokus. Tatjana Seitz und Pierre Depaz beleuchteten die Rolle von APIs sowohl aus kritischer, techniktheoretischer Perspektive als auch mit Blick auf ethische Fragen. 

Tatjana Seitz ging in ihrem Vortrag “Critical technical API studies: Eine praxisorientierte Untersuchung von Interfaces”  auf die Steuerung von Nutzerwegen („User Flows“) und Plattformästhetik durch Codepolitik ein. Dabei zeigte sie am Beispiel der Login-Praxis auf Facebook auf, wie der Zugriff auf Daten durch solche Prozesse der Erfahrungsoptimierung als Frage von API-Berechtigungen neu ausgehandelt wird und Benutzer:innen durch Plattformen geleitet werden, ohne allerdings “API Experiences” zu machen. 

Pierre Depaz diskutierte in seinem Vortrag “Pirate Programming Interfaces: Hijacking the stream” Alternativen wie „NewPipe“ als Beispiel für eine politische Intervention durch Interface-Substitution. In seinem Vortrag zeigte er eindrücklich, dass neue Interfaces zugleich stets auch neue Netzwerke und Abhängigkeiten schaffen, die sich auf die jeweilige Nutzung auswirken. “NewPipe” sollte daher nicht allein als Piraterie-Software, sondern auch unter seinen ökonomischen, ethischen sowie technischen Dimensionen betrachtet und analysiert werden. 

Resümee: Interface-Forschung als kritische Forschungspraxis

Der Workshop machte deutlich: Interfaceforschung bedeutet, wechselseitige Relationen ernst zu nehmen – zwischen Mensch und Maschine, zwischen technischer Infrastruktur und ästhetischer Wahrnehmung, zwischen gesellschaftlichen Bereichen (Politik, Wirtschaft) und Organisationen (Unternehmen, politische Träger). In den Diskussionen wurde das kritische Potential der Interfaceforschung immer wieder betont als ein Zugang, der ermöglicht, hinter Blackboxes zu blicken, Prozesse sichtbar zu machen und alternative Handlungsspielräume aufzuzeigen. Sichtbarkeit, Operationalisierbarkeit und Affektsteuerung sind zentrale Kräfte der Plattformisierung – und damit genuin politische Fragen.

Wir hatten nicht nur sehr schöne, angenehme sowie produktive und anregende Diskussionen in den zwei Tagen, sondern sind sicher, dass sich Teile des Austausches in der ein oder anderen Form auch in zukünftige Arbeiten einschreiben werden. Die Vortragenden haben daher die Möglichkeit, Teile ihrer Präsentation auf der Homepage der AG zu veröffentlichen. Damit soll auch die Sichtbarkeit der AG Mitglieder und ihrer Forschungsarbeiten gefördert werden.