Die AG Interfaces ist mit einem Workshop-Panel auf der diesjährigen Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft in Siegen verteten. Der Workshop mit dem Titel „Interfaces und die postinudstrielle Gesellschaft“ findet am Freitag, 28.09.18 von 14 bis 15:30 Uhr in Raum US-F 308 statt. Hier die Ankündigung:
Der Call der GfM-Jahrestagung 2018 räumt der aktuellen Rede von Industrie 4.0 breiten Raum ein: Heute ist es Konsens von der Digitalisierung als einem industriellen Faktor auszugehen, der eine entscheidende Bedeutung für gesellschaftliche Wertschöpfungsprozesse hat. In den späten 1960er/frühen 1970er-Jahren fällt dagegen die Formierung und Kommerzialisierung der Human-Computer Interaction als Disziplin zeitlich mit soziologischen Analysen zusammen, die von einem Ende der Industriegesellschaften alten Typs ausgehen und die Herausbildung einer postindustriellen Gesellschaft prognostizieren (vgl. insbesondere Alain Touraine: Die postindustrielle Gesellschaft, 1969 im französischen Original erschienen, und Daniel Bell: The Coming of Post-Industrial Society, Erstveröffentlichung 1973).
Der Workshop der AG Interfaces wird einerseits der historisch ausgerichteten Fragestellung nachgehen, welche Rolle Interfaces in all ihren Formen für die zeitgenössischen Diagnosen des Postindustriellen spielen. Die Kritik am militärisch-industriellen Komplex, an der technokratischen Gesellschaft (Theodore Roszak), am eindimensionalen Menschen und der Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft (Herbert Marcuse), an der von passivem Medienkonsum gekennzeichneten Gesellschaft des Spektakels (Guy Debord) – das alles waren Themen in den 1960er/70er-Jahren, die u.a. vom Interface-Design und den Ermächtigungsgesten der Computerisierung aufgegriffen wurden (mittels user-friendly interfaces, soft technology, intimate computing, der Flexibilisierung des being digital, der Teilhabe an online communities, usw.).
Während also durchaus einige Jahrzehnte lang die Vorstellung eines (baldigen oder schon vollzogenen) Endes der industriellen Gesellschaft kursierte, sind Interfaces heute – und damit ist der zweite Schwerpunkt des Workshops angesprochen – entscheidender Bestandteil computerbasierter oder -unterstützter Wertschöpfungsprozesse, sowohl im Bereich der Produktion als auch des Konsums. Zeitgenössische Diagnosen thematisieren insbesondere die Rolle von Interfaces als zentraler Bestandteil der infrastrukturellen Ordnung des Netzwerks sowie als Instrument postfordistischer Arbeitskulturen.
Der Workshop untersucht die wechselnden Situierungen von Interfaces gegenüber der postindustriellen Gesellschaft in Form von thesenförmigen, kurzen Stellungnahmen der Beteiligten, die in eine breitere Diskussion zum Verhältnis von Interfaces und (Post-)Industrie münden sollen.
Timo Kaerlein
Techniken der Teilnahmemotivierung für postindustrielle Subjekte: HCI als ästhetisch imprägnierte Praxis
Der Beitrag adressiert den historischen Zusammenhang von Interface-Design und Diagnosen der postindustriellen Gesellschaft. Leitthese dabei ist, dass im Interface-Design der 1960er/70er Jahre Entwurfs- und Gebrauchsweisen zusammenlaufen, die die Computernutzung insgesamt als ästhetisch imprägnierte Praxis (Reckwitz) ausweisen und damit zur Technik der Teilnahmemotivierung an der postindustriellen Gesellschaft werden lassen.
Sabine Wirth
User Interfaces als ‚personal tools‘
Hier soll skizziert werden, wie die gegenkulturelle Idee der ‚personal tools‘ (Stewart Brand/Whole Earth Catalog) im Verlauf der 1970er-Jahre zentrale Impulse für die Entwicklung von User Interfaces am Forschungszentrum Xerox PARC setzt. Im zweiten Schritt wird diskutiert, welche Verschiebungen der Idee der Personalisierung (als Besitzverhältnis und Konsumprodukt) sich anhand der Auseinandersetzung mit zeitgenössischen User Interfaces (z.B. bei Online-Plattformen wie Facebook) ergeben.
Roland Meyer
Vom Artefakt zum Interface. Umweltgestaltung als Kommunikationsdesign im Umfeld der HfG Ulm
In den 1960er Jahren lässt sich eine theoretische Neubestimmung der Aufgaben des Designs beobachten: An die Stelle ästhetischer Formgebung industrieller Produkte tritt die Gestaltung kommunikativer Beziehungen zwischen »Nutzern« und ihren technischen Umwelten. Ausgehend von Debatten im Umfeld der HfG Ulm zeichnet der Beitrag nach, wie sich dabei Kritik an der Konsumgesellschaft mit dem Versuch verbindet, eine neue »visuelle Grammatik« der Informationsvermittlung zu entwerfen (z.B. in Gui Bonsiepes Interface-Design für Stafford Beers Cybersin-Projekt).
Sophie Ehrmanntraut
Von ›human factors engineering‹ zu ›user centered design‹. Personal Computer und Erlebnisindustrie
Bis zur Einführung von PCs Ende der 1970er-Jahre stand der Exaktheit der Rechenmaschine mit der Bezeichnung ›human factors‹ eine unberechenbare Fehlerquelle gegenüber. Mit ›user centered design‹ rückten die Idiosynkrasien der Menschen zunehmend ins Zentrum der Gestaltung von Mensch-Maschine-Schnittstellen und wurden als Bedürfnisse der User*innen vermarktet. Vor diesem Hintergrund thematisiert der Beitrag die Inszenierung des PCs als ›consumer product‹ der wachsenden Erlebnisindustrie.
Christoph Ernst
Interfaces und der postindustrielle Krieg
Historisch bestehen zwischen der Entwicklung von Paradigmen zur Kriegführung in der Ära vernetzter Computersysteme (z.B. „Network-Centric Warfare“) und der Debatte um die postindustrielle Gesellschaft enge Querverbindungen. Der Beitrag referiert diese Zusammenhänge und zeigt vor dem Hintergrund der leitenden Hypothese des Panels auf, wie sich die Zielvisionen einer postindustriellen Gesellschaft im Design zentraler militärischer Interfacetechnologien der letzten Jahre (immer noch) abbilden.
Jan Distelmeyer
Anteil nehmen. Interface-Prozesse des Netzwerks
Ausgegend von einem Interface-Begriff, der die diversen Prozesse des (An-)Leitens von Computerleistungen adressiert, widmet sich der Beitrag der Verschiebung von objekt- zu prozessorientierter Interaktion in den Interface-Inszenierungen seit 2007. Die Etablierung der App-Ordnungen auf Smartphones und Tablets zielt ästhetisch und technisch auf die Etablierung von Besitz- und Kontrollverhältnissen, die einem neuen Verständnis von „digitalen Objekten“ der infrastrukturellen Ordnung des Netzwerks zuarbeitet.
Außerdem findet auf der GfM-Tagung das alljährliche AG-Treffen statt, zu dem alle InteressentInnen herzlich eingeladen sind. Es findet ebenfalls am Freitag, 28.09.18 statt, und zwar von 16-17:30 Uhr in Raum US-D 312.