Der jährliche Workshop der AG Interfaces in der Gesellschaft für Medienwissenschaft richtet sich 2020 auf Diversität aus. Das Konzept der Diversität, das derzeit in fachübergreifenden, gesellschaftlichen und politischen Debatten als die Anerkennung von Vielfalt verstanden wird und im Umkehrschluss die Überwindung monokultureller, normativer und homogener Umgebungen und Ideologien anstrebt, prägt dabei mehr als nur die thematische Ausrichtung. Auch die Struktur dieses nunmehr fünften AG-Workshops will sich daran orientieren.
Der Fragehorizont, den die Verbindung der Begriffe Interface und Diversität aufreißt, ist so breit wie brisant. Dazu gehören Fragen nach Normierungen und Standardisierungen, nach impliziten Universalismen und Ausschlussverfahren im Interface-Design, nach Monokulturen des Plattform-Kapitalismus, nach Personalisierung, nach dem (im mehrfachen Sinne) produktiven Umgang mit Dis/ability, nach spekulativem Design und zukünftigen Medien, nach den diversen Interface-Formen jenseits etablierter, ehemals dominanter „User-Interfaces“ und ebenso nach dem je konkreten Einsatz der auf Vielfalt und Flexibilität hin entworfenen Computer als „General Purpose Machines“. Der Workshop fragt danach, wie Diversität durch und mit Computertechnologie ermöglicht, eingeplant, reduziert oder ausgeschlossen wird.
Beiträge können u.a. die folgenden Themen adressieren:
- Genealogien und Normalisierungstendenzen des Interface-Designs in der Ergonomik und dem Human Engineering
- phänomenologische Einflüsse auf heutige Verständnisse und Modulationen von Interfaces (im Rahmen von Embodied, Intuitive und Natural Interaction) und die damit verbundenen Normalisierungstendenzen
- die Rolle von somatischen Regungen und unbewussten Prozessen (z.B. Affective Computing) und ihr Verhältnis zu Themenfeldern wie der Neurodiversität
- die zunehmende Abwanderung von Interface-Logiken in die Peripherie (z.B. Ambient Interfaces, Seamless Interaction) und die damit verbundenen Implikationen für Zu- und Eingriffsmöglichkeiten durch Nutzer*innen
- die Entdeckung des ‚Users‘ und die ambivalenten Anforderungen an ein Human-Centered Design
- passive und unbewusste Mensch-Computer-Interaktion durch sensorbasierte Interfaces und die Frage, was vom Konzept ‚User‘ noch bleibt
- Dis/ability und Interfaces: zur Verfügbarkeit (oder Unverfügbarkeit) von Interface-Angeboten für Menschen mit besonderen Anforderungen
- Logiken der Personalisierung, der Mass Customization, des Hacking und Jailbreaking
- Interface-Politiken von Plattformen: Targeted Advertising, Nudging, Dark Patterns, Filter Bubbles
- Gestaltung von Interfaces mit dem Ziel einer Steigerung von Heterogenität und Diversität, inklusives und partizipatives Design
- Spekulative Gestaltungsansätze mit experimenteller und kritischer Ausrichtung (z.B. Tangible Interaction, Value-Sensitive Design, Critical Design, Spekulative Design) und ihr Änderungspotenzial
- Interfacevisionen und -fiktionen: alternative und spekulative Mensch-Maschine-Beziehungen in Literatur, Film, Kunst
- …
Darüber hinaus und daran anschließend erlaubt die Frage nach Diversität auch, noch einmal grundsätzlich über das Konzept Interface nachzudenken. Wie steht es um die Vielfalt und unterschiedlichen Phänomene dessen, was als Interface gelten kann? Welche Ebenen und Verbindungsprozesse von Hardware, Software und all dem, was als Nicht-Computer (Menschen, Tiere, Pflanzen, Dinge etc.) dazu in Kontakt und Beziehung tritt, kann/soll als Interface adressiert und erschlossen werden? Beziehen sich Interfaces allein auf Beziehungen in, zwischen und zu Computern oder auch auf solche jenseits dieser Form von Technik?
Konzeptuell nimmt der Workshop die Frage nach Diversität auf, indem zusätzlich zu Vorträgen und den anschließenden Diskussionen der Beiträge eine weitere Form von Austausch geplant ist. Dazu wird der Workshop auf zwei volle Tage ausgeweitet, wobei der zweite Tag vor allem für die Artikulation unterschiedlicher Positionen und für offene Gespräche ohne Vorträge vorgesehen ist. Dazu gehören sowohl eine gemeinsame Grundsatzdiskussion zum Interface-Komplex, die sich ausdrücklich auch an Kolleg*innen und Interessierte außerhalb des AG-Zusammenhangs richtet, als auch sich daran anschließende Gruppenarbeiten. Vier Themenblöcke laden dabei ein, Profil, Themen und Zukunft der Erforschung des Interface-Komplexes weiterzuentwickeln:
- Programmatik (Interface Studies)
- Entwürfe (Zukünftige Interfaces)
- Phänomene (Interface-Konzepte)
- Effekte (Interface und Gesellschaft)
Der Workshop „Interfaces & Diversität“ findet vom 4.-5. Juni 2020 an der Universität der Künste Berlin statt – als Kooperation der UdK Berlin mit dem Forschungskolleg „Sensing: Zum Wissen sensibler Medien“ am Brandenburgischen Zentrum für Medienwissenschaften (ZeM).
Einreichungen von Nachwuchswissenschaftler*innen und etablierten Forscher*innen sind gleichermaßen willkommen. Reise- und Übernachtungskosten Können im Einzelfall übernommen bzw. bezuschusst werden. Vorschläge für wissenschaftliche Kurzvorträge und Präsentationen von Gestaltungsprojekten sind bis zum 15.03.2020 möglich. Wir bitten um ein kurzes Abstract (ca. 300 Wörter) und eine knappe biographische Information (ca. 100 Wörter) an ag-interfaces@sensing-media.de oder k.haensch@udk-berlin.de. Sowohl deutsch- als auch englischsprachige Beiträge sind willkommen!
Organisation: Konstantin Haensch (Berlin), Jan Distelmeyer, Alice Soiné, Daniel Stoecker, Nicole Schimkus (Potsdam), Sabine Wirth (Marburg)